Veranstaltung: | Landesmitgliederversammlung |
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Tagesordnungspunkt: | 2. Anträge |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 27.02.2018, 14:11 |
Antragshistorie: | Version 1 |
A28NEU3: Grüne Tierpolitik im Land Bremen und darüber hinaus
Antragstext
Es ist an der Zeit, das Mensch-Tier-Verhältnis neu zu überdenken und zu
definieren. Als einzige politische Kraft erkennen wir Grünen bereits in unserem
Grundsatzprogramm an, dass Tiere Rechte haben. Es ist daher an uns, dafür zu
sorgen, dass sie an diesen Rechten tatsächlich teilhaben können. Ein erster
Schritt dazu ist, sie nicht länger einzig unter dem Gesichtspunkt der Verwertung
und des Nutzens für den Menschen zu betrachten: Wir müssen Schritte hin zu einer
friedlichen Koexistenz von Menschen und anderen Tieren unternehmen.
Tiere institutionell stärken
Um die Position der Tiere in Politik und Gesellschaft zu stärken, wollen wir das
Verbandsklagerecht für Tierschutzorganisationen in Bremen verschärfen. Neben der
Feststellungsklage sollen in Zukunft auch Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen
möglich sein, damit Tierschutzvergehen nicht mehr nur im Nachhinein
festgestellt, sondern bereits vorbeugend verhindert werden können. Während
Bremen einmal Vorreiter bei der Einführung des Verbandsklagerechts war, wurden
wir inzwischen von anderen Bundesländern überholt: In Nordrhein-Westfalen,
Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und im Saarland werden bereits alle drei
Klagearten anerkannt.
Wir wollen nach dem Vorbild vieler anderer Länder und inzwischen auch Kommunen
eine bezahlte Stelle einer Landestierschutzbeauftragte*n als zentrale
Anlaufstelle für Bürger*innen zum Thema Tierschutz schaffen. Außerdem soll das
Landesveterinäramt (LMTVet) personell, materiell sowie mit Befugnissen
angemessen ausgestattet werden, um regelmäßige, unangekündigte Kontrollen von
Tierhaltungen zu ermöglichen. Um ein Bewusstsein für den Umgang mit Tieren zu
schaffen, sollen Tierschutz und Tierrechte Teil der Lehrpläne in Bremen werden
und Kooperationen mit Tierschutz-/Tierrechtsinitiativen gefördert werden.
Tiere in der Land- und Forstwirtschaft
Die aktuelle Praxis in der Landwirtschaft ist meilenweit entfernt von einem
gesellschaftlich akzeptierten Umgang mit Tieren. Deshalb setzen wir uns auf
Bundesebene für eine radikale Wende in der Landwirtschaftspolitik ein. Die
schlimmsten Auswüchse der industriellen Tierhaltung bekämpfen wir mit
ordnungsrechtlichen Vorgaben in einem neuen Tierschutzgesetz und dazugehörigen
Haltungsverordnungen, etwa Kastenstand, Amputationen, Verbot von
Akkordschlachtung usw. Bei der Förderung von Tierschutzmaßnahmen durch
staatliche Gelder sollen dagegen nur substanzielle Schritte gefördert werden,
etwa der vollständige Verzicht auf Tiertransporte oder ganzjährige Haltung auf
der Weide oder im Offenstall.
Es gibt in Deutschland viel zu viel Tierhaltung zur Lebensmittelproduktion. Das
ist nicht nur schlecht für die Umwelt, für unsere Gesundheit, für das Klima und
unzählige Menschen in anderen Teilen der Welt, sondern insbesondere auch für die
Tiere selbst. Deshalb wollen wir uns in Bremen und auf Bundesebene für Programme
einsetzen, die Tierhalter*innen unterstützen, in andere Arten der Landnutzung zu
wechseln, wie beispielsweise Energiewirtschaft (sofern ohne ökologische
Folgeschäden wie beim Maisanbau möglich) oder Tourismus.
Wir wollen das Jagdrecht in Bremen nach dem Vorbild Nordrhein-Westfalens
reformieren und dabei Treibjagd, Drückjagd und Fallenjagd verbieten. Die
Bejagung von Tieren sollte außerdem durch die dafür vorgesehenen offiziellen
Stellen erfolgen, eine private Hobbyjagd lehnen wir ab. Wir wollen
Grundstückseigentümer*innen ermöglichen, die Jagd auf ihren eigenen Grundstücken
zu unterbinden.
Ernährung und Bekleidung
Bremen ist als Stadtstaat kein Schwerpunkt der Tierhaltungsindustrie – aber
durch den Konsum tierischer Produkte, von Lebensmitteln bis zur Bekleidung, hat
das Land großen Einfluss. Diesen wollen wir noch stärker nutzen. In der
öffentlichen Beschaffung soll das Land Bremen wo immer möglich auf Tierprodukte
wie Leder verzichten, etwa bei der Beschaffung von Möbeln oder Autositzen.
Wir wollen, dass Menschen die Möglichkeit haben, sich ganz dagegen zu
entscheiden, dass Tiere für die Nahrungsmittelproduktion eingesperrt und getötet
werden. Damit helfen sie nicht nur den Tieren selbst, sondern auch Umwelt und
Klima. Doch vielfach fehlt dafür noch ein entsprechendes veganes Angebot. Wir
werden in allen öffentlichen Einrichtungen, von Krankenhäusern und Gefängnissen
über Schulen und Unimensen bis zu Behörden-Kantinen, preisgünstige und
vollwertige vegane Alternativen etablieren, damit Konsument*innen die Freiheit
haben, sich vegan zu ernähren. Zugleich sollen deutlich weniger fleischhaltige
Speisen angeboten werden. Beim Studentenwerk sollen fleisch- oder fischhaltige
Speisen außerdem nicht mehr zusätzlich subventioniert werden, die
subventionierten Essen 1 und 2 also immer vegetarisch oder vegan sein.
Wir wollen dafür werben, dass die Mittel des EU-Schulprogramms von Bremischen
Schulen für Obst und Gemüse und nicht für Milch abgerufen werden. Denn Milch als
täglicher Pausensnack ist für Kinder nicht nur gesundheitlich ungeeignet, das
EU-Programm differenziert auch nicht zwischen Haltungsformen und erlaubt damit
auch nicht-ökologisch wirtschaftenden Unternehmen der Milchindustrie, ihre mit
Werbung bedruckten Produkte in die Schulen zu bringen. Diese zusätzliche
Subventionierung der Milchindustrie lehnen wir deshalb ab.
Viele Konsument*innen von Tierprodukten sind mit den Haltungsbedingungen der
Tiere nicht einverstanden, doch auf den Produkten selbst fehlen die nötigen
Informationen über die Herkunft. Wir setzen uns deshalb auf Bundesebene für eine
eindeutige textliche Beschreibung der Haltungsbedingungen auf allen, auch
verarbeiteten Tierprodukten ein. Außerdem wollen wir ein Verbot
schönfärberischer Bilder und Beschreibungen auf Verpackungen und in der Werbung
für Tierprodukte erreichen.
Tierversuche in Forschung und Lehre beenden
Wir wollen Tierversuche in der Forschung schnellstmöglich abschaffen. Neben
zusätzlichen Forschungsgeldern für Alternativmethoden auf Bundesebene gehört
dazu in Bremen insbesondere, keine Landesmittel für Projekte mit Tierversuchen
auszugeben. Außerdem soll in Zukunft grundsätzlich die Zustimmung der
Ethikkommission notwendig sein, um Tierversuche in Bremen zu genehmigen. Wir
fordern eine paritätische Besetzung der Kommission, in der demnach die Hälfte
der Mitglieder auf Vorschlag von Tierschutzverbänden berufen werden soll, und
eine Vergütung der Mitglieder mit einer angemessenen Aufwandsentschädigung.
Tierverbrauch in der Lehre lehnen wir ab. Während angehende Humanmediziner*innen
beispielsweise an Leichenteilen forschen, machen Biologiestudent*innen und
andere immer noch Versuche mit lebenden Tieren. Dabei stehen viele, meist auch
mit Blick auf den Lernerfolg viel bessere Alternativmethoden zur Verfügung, etwa
hochauflösende Videos oder Virtual-Reality-Anwendungen. Wir wollen Ausbildung
und Studium in Bremen tierverbrauchsfrei machen und dafür das Hochschulgesetz
entsprechend korrigieren.
Verantwortungsvoller Umgang mit Heimtieren
Damit Hunde auch in der Stadt
genügend Platz bekommen, wollen wir die längst beschlossenen Freilaufflächen
endlich realisieren. Wir wollen aber ebenso eine Pflicht zum Chippen und
Registrieren der Hunde sowie zum Abschließen einer Haftpflichtversicherung
einführen. Da die meisten schweren Bissverletzungen von Rassen wie Schäferhund
oder Rottweiler verursacht werden, wollen wir nach dem Vorbild von Niedersachsen
das schwache Instrument der Rasselisten durch Sachkundenachweise und Wesenstest
für alle Hunde ersetzen. Die praktische Prüfung der Sachkunde soll dabei für
jeden Hund neu abgelegt werden.
Auf Bundesebene setzen wir uns für eine Heimtierschutzverordnung ein, welche
auch eine Positivliste der Tierarten enthält, welche in Privathand gehalten
werden dürfen. Außerdem wollen wir uns für ein Verbot der Boxenhaltung von
Pferden, von sogenannten Exotenbörsen und von Internethandel von Tieren
einsetzen. Bei Fällen von Animal Hoarding, der massenhaften Haltung von
Heimtieren in Privatwohnungen, ist dafür zu sorgen, dass das Tierheim
ausreichend finanziell ausgestattet wird, um die Versorgung der Tiere zu
übernehmen.
Tiere sind keine Unterhaltungsgegenstände!
Wir setzen uns dafür ein, dass auf Bundesebene endlich ein generelles Verbot für
die Haltung von Wildtieren in Zirkussen und Shows beschlossen wird. In Bremen
wollen wir Ponykarussells verbieten.
Tiere in der Stadt
Wir fordern die Einrichtung von Taubenschlägen nach dem „Augsburger Modell“. In
diesen bekommen die Tauben eine Unterkunft, medizinische Betreuung und
insbesondere artgerechtes Futter, weshalb sie sich in der Folge die meiste Zeit
im Taubenschlag statt auf Futtersuche befinden. Durch den Einsatz von Gipseiern
wird die Population kontrolliert. Dieses Modell hilft nicht nur den Tauben,
sondern ist letztlich auch günstiger als die derzeit für Taubenabwehr und
Reinigung eingesetzten Mittel. Auf Bundesebene wollen wir uns dafür einsetzen,
dass Abgaben auf die Taubenzucht erhoben werden, aus denen solche Taubenschläge
in Zukunft finanziert werden.
Auch für andere in der Stadt lebende Tiere, insbesondere Insekten und Vögel,
wollen wir mehr Tierschutz erreichen. Dazu wollen wir z. B. verstärkt
Vogelschutzmarkierungen an Häusern, „Insektenhotels“ und mehr Stadtbegrünung mit
Wildblumen.
Meeresschutz
Unsere Gesellschaft steuert im Moment auf eine ökologische Katastrophe zu: Wir
sind auf dem besten Weg, die Meere der Welt leer zu fischen. Dem müssen wir
dringend Einhalt gebieten. Auf Bundesebene, in der EU und auf internationaler
Ebene setzen wir uns für ein Verbot von Grundschleppnetz-, Stellnetz-,
Treibnetz-, Langleinen- und Tiefseefischerei ein. Subventionen für Fischerei
wollen wir streichen. Dabei wollen wir prüfen, ob wir vorhandene Subventionen
für die Garnelen-Fischerei in Bremerhaven, welche grundsätzlich mit ökologisch
katastrophalen Grundschleppnetzen erfolgt, kurzfristig beenden können. Außerdem
wollen wir mehr und bessere Kontrollen des Beifangs der Fischereiflotten aus
Bremischen Häfen.
Aber nicht nur Fischerei gefährdet unsere Meere, auch die zunehmende Vermüllung.
Wir wollen die Einführung von Mehrwegsystemen für Kaffeebecher, Teller und
Besteck zunächst in Bremen, aber nach Möglichkeit auch bundesweit forcieren. Auf
Bundes- und EU-Ebene setzen wir uns für ein Verbot von Mikroplastik in Kosmetika
ein.
In Bremen sollen mehr bzw. überhaupt Kontrollen der Angelberechtigung
stattfinden. Das "Stockangelrecht bremischer Bürger" soll nicht mehr ohne
Fischereiprüfung möglich sein. Außerdem fordern wir Hinweisschilder an häufig
genutzten, aber illegalen Angelstellen, welche auf das Angelverbot hinweisen.
Ein gerechter Umgang mit Tieren ist gut für alle. Unser derzeitiger Umgang mit
der Tierwelt hat katastrophale Folgen für Ökosysteme, das globale Klima und
unsere Gesundheit. Es ist im Interesse aller Menschen, Tieren die Rechte zu
gewähren, die ihnen zustehen und den Zyklus der Unterdrückung und Ausbeutung von
leidensfähigen Lebewesen zu beenden. Nur eine Gesellschaft, in der auch die
Rechte der Schwächsten gewahrt werden, ist wirklich nachhaltig, friedlich und
gerecht.
Begründung
Dieser Antrag ist das Ergebnis eines zweijährigen Programmprozesses innerhalb der LAG Tierpolitik seit ihrer Gründung Anfang 2016. Wir haben uns bei unseren monatlichen Treffen nacheinander mit den vielfältigen tierpolitischen Themen im Land Bremen beschäftigt, dazu Expert*innen und Initiativen aus Bremen eingeladen und mit ihnen diskutiert und schließlich unsere Positionen bestimmt. Direkt oder indirekt haben an diesem Antrag 30 Menschen mitgewirkt, teilweise Mitglieder der Grünen und teilweise Menschen aus der Stadtgesellschaft und insbesondere von tierpolitischen Initiativen, die Gast unserer LAG waren und mitunter zu regelmäßigen Mitgliedern der LAG oder sogar der Partei geworden sind.
Die intensive Beteiligung von tierpolitischen Initiativen an unserer inhaltlichen Arbeit – vom Stadttaubenprojekt über die Ärzte gegen Tierversuche bis zu Vertreter*innen des Bremer Tierheims – gewährleistet, dass dieser Antrag die Themen so vertritt, wie sie von Tierschützer*innen und Tierrechtler*innen in Bremen und Bremerhaven diskutiert und engagiert vertreten werden. Weite Teile des Antrags decken sich dabei mit urgrünen Positionen aus anderen Ländern oder dem Bundesverband, sei es die Abschaffung der Rasselisten bei Hunden oder das Ende von Tierversuchen. Dieses Grundsatzpapier bietet damit eine Grundlage für die zukünftige Grüne Tierpolitik im Land Bremen und den Programmprozess zur Bürgerschaftswahl 2019.
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